AD(H)S – Mein Weg zur Diagnose

Veröffentlicht am
4 Oktober 2023
Zuletzt aktualisiert
12 Januar 2024

Diese Woche wird es persönlich, denn wir teilen eine besondere Geschichte mit Dir. Über psychische Krankheiten oder auch Störungsbilder – beide Bezeichnungen machen im übrigen direkt klar, dass es sich hier um ein Problem handelt – zu lesen, zu schreiben oder zu reden ist das eine. Aber wirklich verstehen kann man nur das, was man selbst erlebt. Und genau darum soll es diese Woche gehen. Wie äußert sich die, heutzutage schon fast als Modekrankheit deklariere, psychische Symptomatik des “ADHS” und wie sieht ein “normaler” Alltag damit aus. Das beschreibt Dir heute jemand aus Sicht seiner eigenen Welt mit AD(H)S. Viel Spaß beim Lesen.

Und damit geht es auch schon direkt los. Der Begriff AD(H)S wurde in meiner Kindheit dazu verwendet, aufgedrehte Kinder zu beschreiben. Ohne wirkliche Aufklärung, dass hinter dieser Bezeichnung eine tatsächliche Störung steckt und was es überhaupt auslösen kann. Da diese Bezeichnung mit einer negativen Behauptung einhergeht und in den Medien das Problem nur verschlimmert wird, schien es immer etwas schlechtes zu sein. Mit meiner Diagnose, die ich mit 22 erhielt, kamen erst all die Informationen, die zum Verständnis für die betroffenen Menschen führten. Bevor ich meine Symptome und mein Weg mit AD(H)S mit Euch teilen möchte, finde ich es wichtig, erst einmal auf die Störung an sich einzugehen.

AD(H)S – Also nur ein bisschen aufgedreht?

Bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung handelt es sich um eine Funktionsstörung des Gehirns. Die Dopaminrezeptoren, bzw die Neurotransmitter, die für den Transport des Hormons Dopamin zuständig sind, arbeiten nicht richtig. Somit kommt es zu einem Dopaminmangel im Gehirn, was die Ursache für die Symptomatiken ist.

Die Medizin beschäftigt sich seit einigen Jahren intensiver mit der Störung, wodurch mittlerweile ebenfalls festgestellt werden konnte, dass bei AD(H)S-Patienten das Frontalhirn weniger durchblutet wird. Das Frontalhirn ist zuständig für das Treffen von Entscheidungen, der allgemeinen Regulierung und noch vieles mehr, was sich ebenfalls mit den Symptomen einer AD(H)S deckt.

Die Störung bewegt sich in einem Spektrum, sodass es in drei Haupttypen unterteilt werden kann, welche sich, je nach Person, in der Ausprägung unterschiedlicher Symptome unterscheidet. Die aktive Form, die inaktive Form und die Mischform werden mit dem Hyperaktivitäsaspekt unterteilt. Anzumerken ist, dass sich die Hyperaktivität nicht wie in den stereotypischen Vorurteilen auf das „nicht still sitzen“ und „ständig rumhampeln“ auswirken muss. Ein ständiges mit den Fingern beschäftigt sein, auf der Lippe rum beißen oder die Hyperaktivität der Gedanken sind ebenfalls Formen, wie sich Hyperaktivität zeigen kann.

Wie äußert sich AD(H)S?

Zu den Symptomen gehören die bereits genannte Hyperaktivität, die sowohl körperlich als auch psychisch sein kann. Eine fehlende Impulskontrolle, bei der sich eine höher Risikobereitschaft zeigt, es schwer fallen kann, Gesprächspartner nicht zu unterbrechen oder die betroffene Person ein Problem damit hat, nicht impulsiv Geld auszugeben, um die Glücksgefühle eines neuen Kleidungsstücks zu verspüren. Die Dopaminstörung sorgt ebenfalls für eine höhere Vergesslichkeit, da sich das fehlende Dopamin auf das Kurzzeitgedächtnis auswirkt. Das Vergessen der Zeit, was mit einem unweigerlichen Zuspätkommen zusammenhängt oder die AD(H)S-Paralyse können ebenfalls auftreten. Die Paralyse stellt einen eingefrorenen Zustand dar, bei dem die betroffene Person häufig beispielsweise einen Termin hat und bis zu dem Termin nichts erledigen kann, aus Angst den Termin vergessen zu können. Oder auch eine augenscheinlich einfache Aufgabe, wie die Küche aufräumen, zerstückelt sich immer mehr in kleinere Teilaufgaben und irgendwann ist die Person dann so überfordert, dass sie gar nicht anfangen kann.

Obwohl im Namen der Begriff „Aufmerksamkeitsdefizit“ enthalten ist, würde ich viel mehr sagen, dass es sich um eine Störung der Regulation handelt. Menschen mit AD(H)S können sich konzentrieren, sogar so gut, dass bei Themen, die sie ernsthaft interessieren, in einen Hyperfokus kommen können und sich über mehrere Stunden mit nur einer Sache beschäftigen. Schwierig wird es bei Themen, die langweilig erscheinen oder einfach kein Dopamin bringen, da fällt die Konzentration sehr schwer und man fühlt sich körperlich machtlos. Letztendlich ist das Leben mit einer AD(H)S eine ewige Jagd nach Dopamin, um das fehlende Hormon auszugleichen.

Weitere Symptome sind die Überemotionalität, ein hohes emphatisches Einfühlungsvermögen, Tagträumen oder ein vermindertes Durchhaltevermögen. Es würde den Rahmen sprengen, wenn ich nun alle Symptome auflisten würden, dementsprechend habe ich die wichtigsten einmal genannt. Da wir in einer Gesellschaft leben, die von Neurotypischen Menschen erschaffen wurde (neurotypisch als Gegenteil von neurodivers, worunter AD(H)S gezählt wird), haben die Strukturen gewisse Auswirkungen auf Menschen mit AD(H)S.

Das Imposter-Syndrom trifft sehr häufig auf, bei dem die betroffene Person Erfolge und Errungenschaft nicht als selbstständig verdient ansehen kann. Sich selbst ständig runterzumachen und nicht auf sich selbst stolz sein zu können, schadet dem Selbstwertgefühl und hat häufig zur Ursache, dass man merkt, dass das Gehirn anders funktioniert. Außerdem haben diverse Menschen mit einer AD(H)S starke Probleme mit Zurückweisungen. „Rejection Sensitivity“ ist der Fachbegriff, der eigentlich selbsterklärend ist. Anderen Leuten in seinem Umfeld auf die Füße zu treten oder nicht gemocht zu werden beschäftigen einen konstant und beeinflussen das eigene Verhalten.

Egal, ob mit oder ohne “H” – Was jetzt?

Leider ist es so, dass eine AD(H)S oft nicht rechtzeitig diagnostiziert wird, wodurch sich andere psychische Krankheiten einschleichen können. Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen stehen meist im direkten Zusammenhang mit der Störung, was die Diagnose im späteren Verlauf nur noch schwieriger macht.

Um eine AD(H)S zu behandeln gibt es einige Möglichkeiten. So sind Therapien und Aufklärung meist ein guter Start, sich mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen und sich selbst kennenzulernen. Eine medikamentöse Behandlung kann ebenfalls sinnvoll sein, um den Alltag besser meistern zu können. Leider gab es in den vergangenen Jahren viele “Fake News” bezüglich der Medikamente. So wurde beispielsweise in den Nachrichten verbreitet, dass sich die Persönlichkeit verändern würde oder Kinder still gehalten werden. All das stimmt nicht so richtig, da die Medikamente lediglich das fehlende Dopamin ersetzen und somit viele Symptome lindern, wodurch manche Menschen zwar ruhiger werden, aber nur weil sie endlich die Impulse kontrollieren können.

Eine achtsame Lebensweise, gesunde Ernährung, pflanzliche Mittel (wie Lionsmane) und ausreichend Bewegung zeigen ebenfalls einen Erfolg in der Behandlung von den Symptomen.

Story of my life

Nun möchte ich meine Geschichte mit Euch teilen. Mein Name ist Emmy, 24 Jahre alt und bin seit einem Jahr stolze Mama. Ich studiere derzeit szenische Künste und habe seit fast zwei Jahren meine Diagnose ADHS.

Seitdem ich denken kann, fühlt sich mein Kopf an wie ein voller Flughafen, meine Gedanken sind ständig in Bewegung und wechseln immer hin und her. Früher hab ich mir darüber nicht wirklich Gedanken gemacht, weil ich dachte, dass es bei jedem Menschen so sein muss.

Meine Schulzeit war durchwachsen, könnte man sagen. Die Grundschule meisterte ich relativ gut, obwohl hier und da einigen Themen waren, mit denen ich nichts anfangen konnte – kennt vermutlich jeder. Dennoch schien es immer so, dass ich einfach viel zu müde sei um überhaupt folgen zu können. Als ich es dann aufs Gymnasium schaffte, war es nur noch ein irgendwie durchkommen, weil Ich mich nicht mit dem Stoff identifizieren konnte. Schon damals war ich ziemlich dramatisch. Ich erinnere mich an eine Situation, bei der ich mich mit meiner besten Freundin in den Haaren hatte und daraufhin alleine über den Schulhof zog, um möglichst dramatisch für mich einen Song zu singen. Im Nachhinein ziemlich witzig – damals dachte ich, die Welt würde untergehen. In meiner Schulzeit merkte ich auch, dass ich ständig wütend war. Ich konnte von 0 auf 100 gehen in wenigen Sekunden, hatte nicht wirklich Geduld und kleine Misserfolge frustrierten mich zutiefst. Ich hatte ständig das Gefühl, nichts hinzukriegen, vergaß regelmäßig Hausaufgaben oder mein Sportzeug und konnte ständig mit dem Satz „Schon wieder vergessen?“ rechnen.

Mittlerweile weiß ich, dass ich nichts dafür konnte und wirklich mein Bestes gab, doch damals schien es einfach nicht genug zu sein.

Mit 8 Jahren schlichen sich somit meine ersten depressiven Verstimmungen ein und ich fand Komfort im Essen und fühlte mich oft Fehl am Platz. Als ich dann 14 Jahre alt war, fingen Probleme mit der Depersonalisierung an. Ich fühlte mich regelmäßig wie in einem Goldfischglas, als wäre ich nicht so wirklich da und empfand Angst. Aus diesem Grund fing ich eine Therapie an und erhielt die Diagnose „Depression und generalisierte Angststörung“. Von diesem Zeitpunkt an war ich ziemlich regelmäßig bei der Therapie, auch wenn ich einige Male die Therapeutin wechseln musste. In der Pubertät fingen die Symptome – der noch undiagnositzierten AD(H)S – an, sich zu verschlimmern. Neben Freund:innen, die ihr Leben geordnet meisterten, hatte ich starke Probleme mit der Organisation von Schule und Privatleben. Mit 16 fing es dann an, dass ich eine Nikotinsucht entwickelte und jedes Wochenende feiern war. Letztendlich musste ich irgendwann Antidepressiva nehmen, weil die Depressionen sich verschlechterten. Ich bekam Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, welche nicht so richtig wirkten. Heute weiß ich, dass es bei mir nicht funktioniert hat, weil es mir an Dopamin fehlte. (Dazu muss gesagt werden, dass es bei Medikationen von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist, nur weil es bei mir nicht gewirkt hat, muss es nicht bei anderen Menschen genauso sein!)

Mit der beginnenden Corona Pandemie verschlechterte sich meine Angststörung extrem, meine Hypochondrie wurde schlimmer und jeder einzelne Tag war von mehreren Stunden Panik und Angst begleitet. Auf der kläglichen Suche nach einer neuen Therapeutin geriet ich über einen Freund an jemanden und konnte zu einem Erstgespräch. In diesem Erstgespräch war recht schnell klar, dass wir eine AD(H)S Diagnostik durchführen werden, was für mich im ersten Moment noch nicht ganz greifbar war. Als ich mich dann zu Hause mit dem Thema beschäftigte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Viele geteilte Erfahrungen deckten sich stark mit meinen und das erste Mal seit langer Zeit hatte ich Hoffnung auf Besserung.

Als dann der Anruf kam, dass es mehr als eindeutig ist, kamen mir die Tränen. Es gab eine Antwort auf die Überforderung, die starken Emotionen und die Vergesslichkeit. Über die Zeit habe ich mich immer mehr mit dem Thema auseinandergesetzt und finde mich in vielen Sachen wieder. Natürlich war es schwer, internalisierte Stigmata aufzulösen und keine Scham zu empfinden, doch heute kann ich stolz sagen, dass ich mich damit abgefunden habe.

Nach der Diagnose überrollte mich eine Flut an Gefühlen, ich war wütend, weil es niemandem aufgefallen war. Glücklich, dass ich nun zielgerichtet Therapie erhalten kann. Traurig über mein jüngeres Ich, dass sie nicht die Hilfe kriegen konnte, die sie brauchte. Und stolz, dass ich nun einen klitzekleinen Beitrag leisten kann, um mehr über AD(H)S aufzuklären. Frauen und Mädchen werden noch immer viel seltener diagnostiziert, weil sich die AD(H)S meist in der inaktiven oder Mischform äußert. Zudem sind unsere gesellschaftlichen Strukturen noch immer so ausgelegt, dass Mädchen sich zu benehmen haben, weswegen viele Betroffene anfangen, sich eine Maske aufzulegen. Die Symptome werden unterdrückt, was ein intensiver Energieaufwand ist, nur, um nicht aufzufallen.

Derzeit probiere ich mich durch eine Vielzahl an Methoden, darunter ein für mich neues Medikament, was mir dabei hilft, Ruhe in meinem Kopf zu haben und den Alltag strukturieren zu können. Gegen Überforderung und Ängste habe ich Meditationen gefunden, die mir tatsächlich helfen und der Austausch mit meinem Umfeld hilft ungemein. Tatsächlich wurde nach meiner Diagnose meine Mama ebenfalls diagnostiziert, da eine erbliche Komponente vorhanden ist.

Ich kann nicht sagen, dass es immer leicht ist, jedoch bin ich auf einem guten Weg, mir endlich das Mitgefühl und Verständnis zu bieten, was ich auch damals gebraucht hätte.

Falls Du selbst betroffen bist oder jemanden kennst, der eine AD(H)S hat, sei liebevoll. Das Beste wird jeden Tag versucht und es gibt Menschen, mit denen Du sprechen kannst. AD(H)S ist keine Krankheit, wie viele sagen, eher eine Besonderheit des Gehirns, was Dich nicht in Deiner Persönlichkeit ausmacht.

Danke, dass Du dir meine Geschichte durchgelesen hast, fühl Dich gedrückt.

Deine Emmy 🙂

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